Die Junge Bühne der Realschule Oberkirch hat einen Kinderbuchklassiker von Michael Ende neu inszeniert. Am Donnerstagabend
bei der Premiere des Stücks wurde ein Zeichen gegen den Verlust der Menschlichkeit im digitalen Zeitalter gesetzt.
Momo (Hanna Schmidt, 3. von links) trifft sich mit ihren Freunden im Amphitheater – bevor die grauen Herren kommen, haben alle noch viel Zeit für Gespräche.
Der Kinderbuchklassiker Momo ist inzwischen mehr als 50 Jahre alt. Doch Michael Endes Märchen über die Zeitdiebe hat keineswegs an Aktualität verloren. Das hat die Junge Bühne der Realschule Oberkirch am Donnerstagabend bei der Premiere des Stücks im Garten des frechen Hus eindrücklich
demonstriert.
Die grauen Herren stehlen den Menschen die Zeit. Friseur Fusi (Nils Risch), Wirt Nino (Jonas Lehmann) und Beppo Straßenkehrer (Moritz Schmiederer)– alle vermachen im Laufe des Stücks Minuten und Stunden ihres Lebens der Zeitsparkasse. Statt das Leben bei einem Essen zu genießen, gibt es nur noch möglichst schnell zu verschlingen des Fastfood, statt guter Geschichten Katzenvideos auf Youtube, und Stadtführerin Gigi (Evita Brandstetter) ist zur bekannten Influencerin mit ständigem Termindruck geworden, statt Touristen erfundene Geschichte aus der Antike zu erzählen. Nur an Momo (HannaSchmidt) prallen alle Manipulationsversuche der grauen Herren ab. Kein Bildschirm kann sie ablenken, keine sprechende Puppe namens „Sirigirl“ (Tooske Stolz) ihr Herz erobern.
Regisseur Stefan Kowalsky hat Endes zeitlose Geschichte klug und liebevoll in die Gegenwart übertragen. Medienabhängigkeit, Zeitdruck, Selbstoptimierung – die Inszenierung greift viele moderne Themen auf, ohne das Märchenhafte des Originals zu verlieren. Besonders eindrücklich: der Kontrast zwischen den fantasievoll spielenden Kindern zu Beginn – in bunten Kostümen auf imaginärer Schiffsreise – und ihrer späteren Verwandlung in uniformierte, in Smartphone starrende Wesen. Glücklicherweise leistet das mutige Mädchen Momo Widerstand und begibt sich mit der entzückend gespielten Schildkröte Kassiopeia (Heike Schweiger) zur Maestra Hora (Frauke Baldus-Fleck), die alles auf eine Karte setzt und Momo die Rettung der Menschheit anvertraut.
Viel Zeit und vor allem jede Menge kreative Ideen hat die Junge Bühne in die Momo-Inszenierung gesteckt. Das
Technikteam konnte im Handumdrehen die Kulisse des Amphitheaters in den Palast der Maestra Hora verwandeln, die Verwandlung der Menschen von bunten Individuen in uniforme Personen ohne Freude wurde nicht zuletzt durch die Wahl der Kostüme erlebbar, und grauer Rauch kündigte stets die Ankunft der grauen Herren an. Musik aus der Feder von Timo Riegelsberger sowie einfallsreiche Tanzchoreografien verliehen dem Theaterabend besonderen Charme. Die Schauspieler wurden gekonnt zu Sängern. So sang Moritz Schmiederer als Beppo Straßenfeger über die Kunst, Schritt für Schrittden langen Weg zu meistern, statt sich stressen zu lassen – begleitet von einem tanzenden Straßenfeger-Ensemble. Für Heiterkeit sorgte zudem der Tanz der Siri-Puppen zu „I’m a Barbiegirl“.
Mit ihrer modernen Momo-Inszenierung hat die Junge Bühne nicht nur einen Klassiker neu zum Leben erweckt,
sondern auch ein deutliches Zeichengesetzt: Gegen den Verlust von Menschlichkeit im digitalen Zeitalter, für
den Wert echter Begegnungen und das bewusste Erleben der Zeit. Deshalb: Der Theaterbesuch von „Momo“ ist alles andere als eine Zeitverschwendung.
Text und Foto: Katharina Reich (ARZ, 19.07.2025)
Techniker der Jungen Bühne in ihren neuen T-shirts, gesponsert von Fa. Reininger. vl.: Paul Schweiger, Romy Behr (Maske), Hannah Schweiger (Ton), Iustin Rusu, Lina Herr und Fernanda Selzer